Investment FAWOS: Der ökonomische und gesellschaftliche Nutzen der Wohnungssicherung

/ 26.06.2024

Investment FAWOS: Der ökonomische und gesellschaftliche Nutzen der Wohnungssicherung

/ 26.06.2024

Investment FAWOS: Der ökonomische und gesellschaftliche Nutzen der Wohnungssicherung

/ 26.06.2024

Spätestens seit der Finanzkrise 2008 steigen die Wohnkosten, auch weit über dem allgemeinen Verbraucherpreisindex [i], dramatisch an. Selbst steigende, sozialpartnerschaftlich ausverhandelte Lohnzuwächse gleichen die Zunahme von Richtwert-, Kategorie- und freien Mietzinsen nur bedingt aus [ii]. Mit der jüngsten Inflationsentwicklung sind die Mietzinse daher auch für breitere Gesellschaftsgruppen zur Belastung geworden, für viele gar zu einem existenziellen Risiko. Der Sozialbarometer Armut der Volkshilfe [iii] zeigt: 40% der Gesamtbevölkerung sind besorgt sich die Wohnkosten nicht mehr leisten zu können. Jeder zehnte Haushalt ist von einer Wohnkostenüberlastung betroffen [iv]. Sie alle laufen Gefahr aufgrund einer Delogierung wohnungslos zu werden. Das spiegelt sich auch in den zunehmenden Delogierungskennzahlen wider, wie die Arbeiterkammer Wien in Zusammenarbeit mit der Volkshilfe Wien aufzeigt [v].

 

Delogierungen sind eine menschliche und eine gesellschaftliche Tragödie

Viele delogierte Personen wissen nicht, wo sie unmittelbar nach der Delogierung unterkommen können. Betroffene übernachten einige Wochen oder Monate bei Bekannten oder Familienmitgliedern, müssen direkt ein Notquartier in Anspruch nehmen oder schlafen im öffentlichen Raum. Eine breit angelegte Längsschnittstudie der Princeton University zeigt etwa für den US-amerikanischen Raum, das Gesundheits- und Mortalitätsrisiken bei der Zielgruppe immens erhöht sind [vi]. Die Autor*innen berechnen für Menschen, die von Delogierung bedroht sind, ein um 19% erhöhtes, für jene, die von Delogierung betroffen sind, ein 40% erhöhtes Mortalitätsrisiko.

Gerade die Stadt Wien zeigt sich solidarisch und weiß um die Bedeutung des Menschenrechts „Wohnen“. Neben einer langen Tradition des sozialen Wohnbaus baut man auf einer Vielzahl von langfristigen Unterstützungsangeboten auf. Mit der Fachstelle für Wohnungssicherung (FAWOS) der Volkshilfe Wien setzte die Stadt schon in den 1990ern einen wichtigen Grundstein zur Wohnungssicherung und Delogierungsprävention u.a. für Mieter*innen in privaten Mietverhältnissen.

 

Die Fachstelle für Wohnungssicherung

Die Fachstelle für Wohnungssicherung, kurz FAWOS, wurde in den 1990er Jahren als Pilotprojekt für den 2. und 20. Wiener Gemeindebezirk gegründet und aufgrund des Erfolges rasch auf ganz Wien ausgeweitet. Die FAWOS bietet kostenlose und professionelle Beratung für Mieter*innen von privaten Mietverhältnissen, Genossenschaftswohnungen sowie fremdverwalteten Gemeindewohnungen, wenn sie aufgrund von Mietzinsrückständen Gefahr laufen, delogiert zu werden.

Von den im Jahr 2023 beratenen Haushalten waren 84% mit minderjährigen Kindern und 35% von Alleinerzieher*innen bewohnt. Während bei klassischen Angeboten der Wohnungslosenhilfe männliche Betroffene deutlich überwiegen, suchen bei FAWOS weiblich wie männliche Betroffene gleichermaßen um Unterstützung an. Damit scheint das Angebot der Wohnungssicherung durch FAWOS insbesondere „verdeckter Wohnungslosigkeit“ [vii] von Frauen vorzubeugen.

Qualitativ hochwertige Delogierungsprävention ist aber nicht nur aus menschlicher Perspektive notwendig und verhindert, dass z.B. Familien sprichwörtlich „auf der Straße landen“. Wohnungssicherung schafft auch einen wirtschaftlichen Mehrwert, wie eine von der Volkshilfe Wien beauftragte unabhängige „Social Return on Investment“-Studie (abgekürzt SROI) zur FAWOS [viii] zeigt.

 

Die Studie

Dazu wurden in einem ersten Schritt Stakeholder*innen (bspw. Vermieter*innen und Mitarbeiter*innen von Bezirksgerichten) identifiziert, die Wirkungsketten rekonstruiert und anschließend interviewt. Ebenso wurden Klient*innen der FAWOS per Fragebogen jeweils vor und nach den Beratungen befragt. Das Projektteam des NPO Kompetenzzentrum der WU Wien rund um Katharina Wankat und Christian Grünhaus stellte fest: Die im Jahr 2021 vom Fördergeber (Stadt Wien – MA 40) investierten 929.881€ schaffen einen monetären Mehrwert von rund 87,4 Million Euro. Anders formuliert: Jeder in FAWOS investierte Euro führt zu einer sozialen Rendite („monetärer Rückfluss“) in der Höhe von 94€.

Die Wohnungssicherung der Volkshilfe Wien wirkt. Eine aktuelle Studie über die Wirksamkeit der Fachstelle für Wohnungssicherung (FAWOS) bestätigt die große Wirkung für Betroffene und die Gesellschaft. Die Grafik zeigt, dass jeder investierte Euro in die Absicherung von Wohnraum einen gesellschaftlichen und monetären Mehrwert von 94,02 Euro (Social Return on Investment) schafft. Die Stadt Wien förderte die FAWOS mit rund 930.000 Euro im Jahr 2021, dadurch entstand ein gesellschaftlicher Mehrwert von mehr als 87 Millionen Euro.

Wer von Wohnungssicherung profitiert

Dieser sehr hohe SROI- Wert ergibt sich, indem Wohnungslosigkeit und deren Folgewirkungen auf das Individuum und auf die Gesellschaft berechnet wurden. „Jene Klient:innen, die ohne die FAWOS obdachlos wären, sind die Hauptprofiteure der Arbeit der FAWOS. Der monetäre Wert für diese Personengruppe beträgt ca. 1,2 Millionen Euro pro Person.“

Die zweitgrößten Profiteur*innen sind Kinder von Klient*innen. Ökonomisch bemessen ergibt sich hierfür ein Wert von rund 19 Millionen Euro. Das Verhindern von Wohnungslosigkeit von Haushalten mit minderjährigen Kindern beugt damit nicht nur potenziell traumatischen Erfahrungen und Entwurzelung vor, sondern ist auch mit einem ökonomisch Mehrwert verbunden.

Die Stadt Wien ist aus ökonomischer Sicht die drittgrößte Profiteurin. Schließlich erspart sie selbst durch die Förderung von FAWOS mit 1 Million Euro rund 5 Millionen, weil etwa die Unterstützung durch Angebote der Wohnungslosenhilfe oder der Kinder- und Jugendhilfe nicht zur Anwendung kommen.

 

Conclusio

Unser vordergründiges Motiv muss sein, Menschen aus einem solidarischen und menschenrechtlichen Grundgedanken vor der Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit zu bewahren. Wie die Studie belegt, rechnet sich Wohnungssicherung auch im ökonomischen Sinne.

Weder menschliche noch ökonomische Argumente bleiben über, die gegen eine Investition in wohnungssichernde Angebote im Allgemein und die Förderungen der FAWOS im Speziellen sprechen.

Gerade die Situation auf dem privaten Wohnungsmarkt ist weiterhin angespannt. Es braucht nicht nur Ressourcen für die Wohnungssicherung im Akutfall, sondern auch solche für die frühzeitige, im Fachjargon als „upstream prevention“ [ix] bezeichnete Prävention sowie für tertiär präventive Angebote [x], die nach erfolgreich abgewendeter Delogierung Betroffene bei Bedarf weiter unterstützen.

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Florian Baumgarten, BA MA MA

ist Referent für Wohn- und Sozialpolitik mit Schwerpunkt Wohnungs- und Energiesicherung.

  F.Baumgarten@volkshilfe-wien.at

Quellen

[i] Jüngling, L., 2024. Bau-Konjunkturpaket: Fokus auf sozialen Wohnbau notwendig. Online verfügbar unter https://www.momentum-institut.at/news/bau-konjunkturpaket-fokus-auf-sozialen-wohnbau-notwendig

[ii] Tölgyes, J., 2023. Mieterhöhung: Mieten ziehen Löhnen davon. Online verfügbar unter https://www.momentum-institut.at/news/mieterhoehung-mieten-ziehen-loehnen-davon

[iii] Sozialbarometer Armut, 2023. Presseunterlagen Sozialbarometer. Online verfügbar unter https://www.volkshilfe.at/fileadmin/user_upload/Media_Library/Bilder/Bilder_nach_Themen/Kinderarmut/SB_Kinderarmut_2020/Presseunterlage_SB_Kinderarmut.pdf

[iv] Statistik Austria (2023d): Wohnen 2022. Zahlen, Daten und Indikatoren der Wohnstatistik. Online verfügbar unter: https://www.statistik.at/fileadmin/user_upload/Wohnen-2022_barrierefrei.pdf

[v] Moussa-Lipp, S. & Baumgarten, F., 2024. Wohnungsnot und Delogierungswahnsinn. Online verfügbar unter https://www.awblog.at/Soziales/Wohnungsnot-und-Delogierungswahnsinn

[vi] Graetz, N. et al., 2024. The impacts of rent burden and eviction on mortality in the United States, 2000–2019. Social Science & Medicine, 340, 1-7.

[vii] BAWO, 2019. Statistisch untererfasste Formen von Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit am Beispiel der Bundesländer Vorarlberg, Salzburg und Wien: Zusatzbericht der BAWO zum Bericht der Statistik Austria zur registrierten Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit, Wien.

Lutz, R., Sartorius, W. & Simon, T., 2017. Lehrbuch der Wohnungslosenhilfe. Eine Einführung in die Praxis, Positionen und Perspektiven. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.

[viii] Grünhaus, C., Wankat, K. & Pfrendl, J., 2024. Studie zum gesellschaftlichen und ökonomischen Nutzen der Fachstelle für Wohnungssicherung Wien mittels einer SROI-Analyse. Studienbericht. Wien: NPO & SE Kompetenzzentrum.

[ix] Fitzpatrick, S., Mackie, P., & Wood, J. (2021). Advancing a Five-Level Typology of Homelessness Prevention. International Journal on Homelessness, 1(1), 79–97.

[x] BAWO (2024): Wohnen sichern. Obdach– und Wohnungslosigkeit verhindern. Online verfügbar unter https://bawo.at/101/wp-content/uploads/2024/05/BAWO-Wohnen-sichern-Obdach-und-Wohnungslosigkeit-verhindern.pdf