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Mit Klimagerechtigkeit gegen Kälte und Energiearmut
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„Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden einschließlich (…) Wohnung (…) gewährleistet“.
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Die erste Kältewelle gilt als Vorbotin für Winternotmaßnahme, etwa des Winterpakets der Stadt Wien. In der Wohnungslosenhilfe laufen dementsprechend die Vorbereitungen auf Hochtouren. Doch auch abseits von Wohnungslosigkeit wirft der Winter ungleichheitsrelevante Fragen auf. In den vergangenen Jahren dominierten etwa die Theman Heizkosten bzw. Energiearmut den wohnpolitischen und wissenschaftlichen Diskurs [1, 2, 3, 4, 5]. Doch auch die Dunkelheit des Winters beeinflusst das psychosoziale Wohlbefinden und die Produktivität. Anlass genug, sich spezifischen, im Winter besonders relevanten Wohnproblemen zu widmen.
Eigentum/ Miete, Land/ Stadt
Folgen wir dem Eingangszitat, also dem Anspruch auf Gesundheit im Kontext Wohnen, bietet die jährliche EU-SILC Erhebung einen guten Ausgangspunkt. Neben der subjektiven Wohnzufriedenheit erfasst sie etwa das Auftreten von „Wohnproblemen“, die im Winter, wenn sich die Bevölkerung aufgrund der Temperaturen in die eigenen vier Wände zurückzieht, besonders Einfluss haben.
Hierbei zeigt sich für den nationalen Kontext folgendes Bild: je dünner besiedelt die Region und je kleiner der Wohnkomplex (Einfamilienhaus bis Wohngebäude mit zehn Wohnungen oder mehr), desto höher ist die subjektive Zufriedenheit mit der Wohnqualität. Betrachtet nach dem Rechtsverhältnis ist die Zufriedenheit österreichweit im Eigentum deutlich höher als in Mietverhältnissen [6]. Nachdem nachvollziehbarerweise die subjektive Wohnzufriedenheit und Wohnprobleme einen Zusammenhang aufweisen, lohnt sich deren Betrachtung im Detail.
Mit Fokus auf die Wohnprobleme zeigt sich augenblicklich ein eklatantes Verteilungsproblem. Dieser Eindruck verdeutlicht sich nochmals, wird die Betroffenheit von Wohnproblemen zwischen den niedrigsten und höchsten Einkommensgruppen verglichen. Menschen mit niedrigem Einkommen (Einkommen <60% des Medianeinkommens) leben fünf Mal häufiger in Wohnungen mit dunklen Räumen als Gutverdiener*innen (Einkommen ≥180% des Medianeinkommens). Die Problematik überbelegter Wohnräume existiert für Gutverdiener*innen überhaupt erst nicht, während ein Fünftel aller Menschen mit geringem Einkommen davon betroffen ist. Außerdem erscheinen die Belastungen durch den Urbanisierungsgrad moderiert oder verstärkt. Das ist insofern nachvollziehbar, als dass Lärm oder Überbelag in ländlicheren Regionen, die weniger dicht besiedelt sind, eine geringere Relevanz haben.
Wie Heizkosten und Energiearmut zusammenhängen
Neben den dargestellten Wohnproblemen sind natürlich auch die niedrigen Temperaturen im Winter besonders kritisch. In der Panelbefragung „So geht’s uns heute“ der Statistik Austria [7], gaben im ersten Quartal 2024 rund ein Drittel aller Befragten an, sich die Energiekosten nur leisten zu können, indem sie ihren Energieverbrauch reduzierten. Österreichweit gaben 6% aller Befragten und 12% der Mieter*innen an, aus finanziellen Gründen Wohnraum nicht angemessen heizen zu können. Bei genauerer Betrachtung der Energiestatistiken zeigt sich ferner, wen Energiekosten besonders treffen.
Zwar haben Hauseigentümer*innen im Speziellen und Gutverdiener*innen (≥180% des Medianeinkommens) im Allgemeinen sowohl auf Haushalts- als auch auf Personenebene, die höchsten Energiekosten. So wenden Hauseigentümer*innen und Gutverdiener*innen durchschnittlich 133€ bzw. 134€ pro Person für wohnraumbezogene Energiekosten auf, während Armutsgefährdete 88€ aufwenden [8]. Auch der Anteil von Energie an den Wohnkosten ist bei ebendiesen Gruppen (z.B. 40% Hauseigentum) relativ höher als bei Mieter*innen) oder Menschen mit niedrigem Einkommen [6] . Nachdem jedoch die Wohnkosten relativ geringer sind, ist dieser Umstand leicht erklärt.
Wird allerdings die Wohnfläche mit in Betracht gezogen, zeigt sich rasch: Die höheren Kosten kommen aufgrund der größeren Wohnfläche zustande. Auf die Quadratmeter der Haushalte bezogen egalisieren sich die Ausgaben für Energie, auf Personeneben drehen sie sich gar um. So zahlen Mieter*innen pro Quadratmeter und pro im Haushalt lebende Person gerechnet zwischen 20%-50% (abhängig von der Rechtsform) mehr für Energie als Haus- oder Wohnungseigentümer*innen8. Reiche und Eigentümer*innen verbrauchen also mehr Energie aufgrund größerer Wohnflächen, müssen aber pro Person am Quadratmeter weniger für Energie ausgeben. Dies führt zu einer ungleich höheren Belastung durch den Faktor Energie für Mieter*innen, also jener Gruppe die durchschnittlich über ein geringeres Einkommen verfügt [8].
Eine Studie im Auftrag der E-Control zur Energiearmut bestätigt diese Annahme. So müssen wohlhabende Haushalte nur 3,5% ihres Haushaltseinkommens für Energie aufwenden, armutsgefährdete Haushalte hingegen 12,6% [9]. Der Anteil der Energiekosten am Einkommen von armutsgefährdeten Haushalten ist also mehr als drei Mal so hoch als bei Haushalten mit Gutverdiener*innen. Die Kostenbelastung für Gruppen mit weniger Einkommen durch Energie ist also in doppelter Weise ungleich: Einerseits ist die Kostenbelastung für Armutsbetroffene höher im Verhältnis pro Person und Quadratmeter, andererseits ist sie höher im Verhältnis zum eigenen verfügbaren Einkommen.
Wohnproblemen mit Klimagerechtigkeit begegnen
Doch was kann den Wohnproblemen und der hohen Belastung durch Energiekosten effizient entgegengesetzt werden? Hier könnten subjektbezogene Hilfen, also z.B. Unterstützung bei Energiekosten, zum Teil Abhilfe schaffen. Aber ist das wirklich nachhaltig? Auf der Suche nach Lösungen für diese Verteilungsprobleme lohnt es sich nochmal die Menschenrechtsperspektive zu vergegenwärtigen, welche Wohnraum mit dem Schutz der Gesundheit in Verbindung setzt. Nimmt man diese Verbindung wortwörtlich, also hat Wohnraum den Schutz der Gesundheit zu gewährleisten, dreht sich die Perspektive. Die Frage lautet weniger: Wie können Menschen mit geringem Einkommen bei Mehrkosten unterstützt werden, um sich gegen Kälte, Dunkelheit, Lärm oder dergleichen zu wehren? Die Frage muss nun eher lauten: Wie kann gewährleistet werden, dass Menschen mit geringem Einkommen in ihrem Wohnraum vor Kälte, Nässe oder dergleichen geschützt sind?
Ähnlich argumentieren etwa auch Sören Weißermel und Rainer Wehrhahn [10], welche die komplexen Prozesse rund um die Sanierung eines sozioökonomisch benachteiligten Bezirks in Kiel untersuchten. Unter dem Begriff des „klimagerechten Wohnens“ fordern sie drei grundlegende Rechtsansprüche: 1. Recht auf energieeffizientes Wohnen, 2. Recht auf klimaangepasstes Wohnen, sprich resiliente Bestandsstruktur sowie 3. der Schutz vor „grüner Gentrifikation“ [1], daher vor der Verdrängung aus der nun aufgewerteten Nachbarschaft.
Um treffsicher Menschen zu erreichen, die aufgrund unter Kälte, Dunkelheit oder hohen Energiekosten leiden, müssen, wie gezeigt wurde, Mietobjekte ins Zentrum der Überlegungen gerückt werden. Für den privaten Wohnungsmarkt (aber auch den sozialen Wohnbau) können bspw. energetische Schwellenwerte diskutiert werden, deren Unterschreitung eine Mietzinssenkung oder Abschläge im Richtwertsystem zur Konsequenz haben. Praktisch bedeutet das: Je höher der Heizwärmebedarf einer Wohnung (= HWB-Wert) oder Gesamtenergieeffizienzfaktor (= fGEE), desto niedriger ist die Miete. Dies schafft monetäre Anreize zur energetischen Sanierung und entlastet Mieter*innen finanziell. Derartige Änderungen können die gegenwärtig wichtige Diskussion um Energiearmut nachhaltig entschärfen. Politisch wäre dafür allerdings eine Verlagerung der Verantwortung von der Sozial- in die Wohnpolitik notwendig – eine Verschiebung, die etwa auch im Policy Paper der Volkshilfe in Hinblick auf leistbaren Wohnraum gefordert wird.
Florian Eder, BA MA MA
Referent für Wohn- und Sozialpolitik mit Schwerpunkt Wohnungs- und Energiesicherung.
Quellen
[1] BMSGPK (2021): Soziale Folgen des Klimawandels in Österreich. Wien.
[2] Boomsmaa, C. / Pahla, S. / Jonesb, R.V. / Fuertes, A. (2017): “Damp in bathroom. Damp in back room. It's very depressing!” exploring the relationship between perceived housing problems, energy affordability concerns, and health and well-being in UK social housing. In: Energy Policy, 106, 382-393. http://dx.doi.org/10.1016/j.enpol.2017.04.011
[3] Liddell, C. / Morris, C. (2010): Fuel poverty and human health: A review of recent evidence. In: Energy Policy, 38, 2987–2997. doi: 10.1016/j.enpol.2010.01.037
[4] Maidment, C.D. / Jones, C.R. / Webb, T.L. / Hathway, E.A. / Gilbertson, J. M. (2014): The impact of household energy efficiency measures on health: A meta-analysis. In: Energy Policy, 65, 583-593. https://doi.org/10.1016/j.enpol.2013.10.054
[5] Pleace, N. / Snell, C. (2024): Energy poverty and homelessness. FEANTSA Forum: Vienna, 18.6.2024.
[6] Statistik Austria (2024): Tabellenband EU-SILC 2023 und Bundesländertabellen mit Dreijahresdurchschnitt EU-SILC 2021 bis 2023. Einkommen, Armut und Lebensbedingungen.
[7] Statistik Austria (2024): 10.Welle Panelbefragung „So geht’s uns heute“ betreffend Q1/2024. Online verfügbar unter https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/einkommen-und-soziale-lage/soziale-krisenfolgen
[8] Statistik Austria (2024): Wohnen 2023. Zahlen, Daten und Indikatoren der Wohnstatistik. Online verfügbar unter https://www.statistik.at/fileadmin/user_upload/Wohnen-2023_Web-barrierefrei.pdf
[9] Statistik Austria (2024): Dimensionen der Energiearmut in Österreich 2021/22. Indikatorenüberblick und
detaillierte Betrachtung. Online verfügbar unter: https://www.statistik.at/fileadmin/user_upload/Energiearmut-2021_22_barr_Web.pdf
[10] Weißermel, S. / Wehrhahn, R. (2024): Climate-just housing: A Socio-spatial Perspective on Climate Policy and Housing. In: Int J of Urban and Regional Research, 1-22.