Weibliche Wohnungslosigkeit – männliche Herrschaft
/ 21.11.2024
Investment FAWOS: Der ökonomische und gesellschaftliche Nutzen der Wohnungssicherung
/ 26.06.2024
Weibliche Wohnungslosigkeit – männliche Herrschaft
/ 21.11.2024
Weibliche Wohnungslosigkeit – männliche Herrschaft
Traurig, aber notwendig. Am 25. November startet erneut die internationale Kampagne „16-Tage gegen Gewalt an Frauen“. Denn häusliche Gewalt ist noch immer ein häufiger Auslöser von weiblicher Wohnungslosigkeit. Gleichzeitig sind Frauen in der Wohnungslosenhilfe unter-repräsentiert, sprich es sind deutlich mehr Männer als Frauen in den Statistiken zur Wohnungslosigkeit erfasst. Dies liegt keineswegs daran, dass Frauen seltener betroffen sind, im Gegenteil. Viele Frauen sind „verdeckt wohnungslos”, nächtigen aufgrund materieller Abhängigkeiten, inadäquater Angebote und legitimen Sorgen eher bei Bekannten und Freund*innen als in Notschlafstellen, oder bleiben, bzw. begeben sich, in Zweck- und Gewaltbeziehungen [1], um nicht auf der Straße schlafen zu müssen [2]. Ein Teufelskreis, der nur schwer zu durchbrechen ist.
„Verdeckt“ – Zahlen spiegeln Ausmaß weiblicher Wohnungslosigkeit nicht wider
Wohnungslosigkeit in Zahlen zu erfassen ist grundsätzlich kein leichtes Unterfangen.[3] Für 2022 weist die „registrierte Obdach- und Wohnungslosigkeit“, eine Kennzahl basierend auf dem zentralen Melderegister, österreichweit 12.410 volljährige Männer und 5.190 volljährige Frauen als wohnungslos aus. Anders als etwa beim delogierungspräventiven Unterstützungsangebot der Volkshilfe Wien (FAWOS - Fachstelle für Wohnungssicherung), wo über 50% der Kontakte auf hilfesuchende Frauen entfallen, sind im Bereich registrierte Obdach- und Wohnungslosigkeit erwachsene Frauen mit nur 29,5% vertreten, also deutlich seltener. [4]
Das ungleiche Verhältnis wird von Daten jener Organisationen bestätigt, die in diesem Feld tätig sind. In Wien versorgte etwa der Fond Soziales Wien und seine Kooperationspartner*innen, zu denen auch die Volkshilfe Wien gehört, 4.140 wohnungslose Mädchen und Frauen (ein Anteil von 33,5%) sowie 8.230 wohnungslose Burschen und Männer [5][6]. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe [7] (BAWO) geht, basierend auf internationalen Vergleichen, von zumindest einer doppelt so hohen Dunkelziffer aus, welche aufgrund ihrer hohen verdeckten Wohnungslosigkeit, größtenteils Frauen umfasst. Das tatsächliche Verhältnis wohnungsloser Frauen und Männer dürfte also wesentlich ausgeglichener sein, als dies auf den ersten Blick erkenntlich ist.
Hintergründe weiblicher („verdeckter“) Wohnungslosigkeit
„Wohnsituationen und Wohnungslosigkeit von Frauen* sind erst durch die Auseinandersetzung mit der strukturell vorhandenen Armut von Frauen* und den spezifisch weiblichen Armutsrisiken verstehbar.“ [2]
Soziale Ungleichheit und steigende Mietpreise: Alle Statistiken zeigen, dass Frauen monatlich weniger Geld zur Verfügung steht. 2022 verdienten etwa 10% aller unselbstständig erwerbstätigen Männer € 1390,- oder weniger [8], bei den unselbstständig erwerbstätigen Frauen waren es 25%. Die stark steigenden Mietpreise betreffen Frauen daher ungleich mehr, insbesondere wenn sie, etwa bei häuslicher Gewalt, rasch eine leistbare Wohnung benötigen und nicht länger warten können.
Von häuslicher Gewalt, bzw. Gewalt durch Expartner*innen, sind vorwiegend Frauen betroffen [9][10]. 16% aller Frauen haben bereits körperliche und/oder sexuelle Gewalt in intimen Partnerschaften erlebt [11], dementsprechend ist die Notwendigkeit von adäquaten Schutzräumen, sowohl in Frauenhäusern, aber auch in der Wohnungslosenhilfe selbst, nach wie vor hoch.
Hürden bei der Inanspruchnahme von Unterstützung, inadäquate Angebote, fehlende Perspektiven, Scham, legitime Sorge vor Ablehnung und Stigmatisierung [12], aber auch Angst vor „der Straße“ führen dazu, dass von Gewalt betroffene Frauen zögern, institutionelle Unterstützung, etwa durch das „Beratungszentrum Wohnunglosenhilfe“ von „Fonds Soziales Wien“, anzunehmen. Die sogenannte „verdeckte Wohnungslosigkeit“ ist die Folge.
Erfahrungen der Mitarbeiter*innen der Volkshilfe Wien zeigen außerdem, dass Frauen seltener im Mietvertrag eingetragen sind. Diese Abhängigkeit macht es zusätzlich schwierig, sich bei Gewalterfahrungen zu trennen.
Maßnahmen gegen „weibliche“ Wohnungslosigkeit
(1) Leistbarer Wohnraum und Armutsbekämpfung
Um Wohnungslosigkeit rasch und effektiv zu beenden, ist leistbarer Wohnraum eine Grundvoraussetzung. Aufgrund der besonderen Vulnerabilität benötigt es, insbesondere für Frauen, leistbare und rasche Perspektiven für eigene Mietwohnungen, beispielsweise ein erleichterter Zugang zu sozial gefördertem Wohnbau. Vorschläge zur Bekämpfung der Wohn- und Leistbarkeitskrise hat die Volkshilfe in einem Policy Paper zusammengefasst (hier geht’s zum Policy Paper der Volkshilfe). Maßnahmen zur Bekämpfung von Frauenarmut und Einkommensungleichheit (Gender-Pay-Gap) müssen getroffen werden, wobei ein Fokus auf die Unterstützung besonders armutsgefährdeter Risikogruppen, wie Alleinerzieher*innen, dringend notwendig ist.
(2) Spezialisierte und niederschwellige Angebotslandschaft
In der sozialen Angebotslandschaft sollten Gewaltschutzangebote, inkl. stationärer Plätze wie etwa der hafen* der Volkshilfe Wien, ausgebaut und Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe niederschwellig und mit besonderer Berücksichtigung der Schutzbedürfnisse von Frauen gestaltet werden. In der Wiener Wohnungslosenhilfe hat es in manchen Bereichen erste Fortschritte gegeben, wie etwa die Einführung von Frauenräumen in Tageszentren oder ein Chancenhaus für Familien. Allerdings ist es erforderlich, österreichweit bestehende ambulante und stationäre Angebote auf ihre Schutzfunktionen hin zu prüfen und zu verbessern (Einzel- statt Doppel- oder Mehrbettzimmer, getrennte Eingänge und Schutzräumlichkeiten in gemischten Einrichtungen) und neue, spezifische Akutangebote, mit wenigen Plätzen, Einzelzimmern und spezialisierten Mitarbeiter*innen, in hoher Qualität zu schaffen [2].
Das Projekt Volkshilfe hafen*
...ist ein generationenübergreifendes Wohnprojekt der Volkshilfe Wien für
Frauen. Neben Plätzen für (volljährige) junge Frauen in Ausbildung, stehen
15 Wohneinheiten speziell für von Gewalt betroffene Frauen zur Verfügung.
Ebenso ist ein Ausbau von Housing-First-Angeboten zu befürworten, um das Recht auf Unversehrtheit und Privatsphäre in einer eigenen Wohnung gewährleisten zu können. Doch auch hier sind Überlegungen bzgl. des Schutzes zu beachten. Der Wiener Frauenarbeitskreis der BAWO verweist bei Housing First Angeboten etwa darauf, dass Erdgeschosswohnungen ein erhöhtes Gefährdungspotential aufweisen [2].
(3) Delogierungsprävention als Maßnahme gegen verdeckte Wohnungslosigkeit von Frauen
Schließlich sollten delogierungspräventive Angebote erweitert werden. Anders als in der Wohnungslosenhilfe verzeichnet FAWOS (Fachstelle für Wohnungssicherung) der Volkshilfe Wien ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis bei den betreuten Personen. 35% der 2023 unterstützten Haushalten wurden zudem von Alleinerziehern*innen, vorwiegend alleinerziehende Frauen, bewohnt. Die Sicherung bestehender Mietverhältnisse hilft also Frauen im Besonderen und verhindert damit auch „verdeckte Wohnungslosigkeit“. Gleichzeitig sind bestehende Mietverhältnisse zumeist günstiger als Neumietverträge, wodurch eine weitere finanzielle Belastung abgewendet werden kann [13][14]. Insgesamt ist Delogierungsprävention als wichtiger Bestandteil zur Verhinderung von weiblicher Wohn- und Obdachlosigkeit zu werten
Florian Eder, BA MA MA
Referent für Wohn- und Sozialpolitik mit Schwerpunkt Wohnungs- und Energiesicherung.
Quellen
[1] Aszódi, A, Bonic, B., Unterlerchner, B. (2023): Gewalt an wohnungslosen und obdachlosen Frauen*. Po-sitionspapier der bundesweiten Frauenvernetzung zum Thema weibliche* Wohnungslosigkeit
[2] Corazza, E., Dhanani, A., Erhard, B., Fischer, C., Gruber, B., Loibl, E., Platzer, A., Schagerl, M., Schmidl, R. (2020): „… wie schläft die Marie?“. Frauengerechte Standards in der Wohnungslosenhilfe. BAWO: Wien.
[3] Eine unlängst publizierte Machbarkeitsstudie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat die Schwierigkeiten der Datenerfassung im Detail untersucht und Möglichkeiten für eine verbesserte Datenlage aufgezeigt: Musil, R., Schnell, P., Dlabaja, C. (2024): Machbarkeitsstudie: Datenbasis zu Ob-dachlosigkeit, Wohnungslosigkeit und prekärem Wohnen. BMSGPK: Wien.
[4] Statistik Austria (2024). Wohnen 2023. Zahlen, Daten und Indikatoren der Wohnstatistik. Statistik Austria: Wien.
[5] FSW (2023): Wohnungsenhilfe in Wien. Grafiken und Daten zu Kund:innen, Leistungen & Partnerorgani-sationen. FSW: Wien.
[6] Eberhardt, V., Temel, B., Halbmayr, B. (2023): „Das Leben könnte so schön sein“. Erfahrungen mit Ob-dach- und Wohnungslosigkeit von Frauen in Wien Stadt Wien – Frauenservice Wien: Wien.
[7] Harner, R. (2021): Obdachlosigkeit beenden. Eine bundesweite Strategie. BMSGPK: Wien.
[8] Daten der Statistik Austria basierend auf Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung und Lohnsteuer-/DV-Da-ten, online verfügbar unter https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/einkommen-und-soziale-lage/monatseinkommen
[9] Birkel, C., Curch, D., Erdmann, A., Hager, A., Leitgöb-Guzy, N. (2022): SKiD 2020 (Brikel et al. 2023): Si-cherheit und Kriminalität in Deutschland – SKiD 2020. Bundesweite Kernbefunde des Viktimisierungssur-vey des Bundeskriminalamts und der Polizeien der Länder. Bundeskriminalamt: Wiesbaden.
[10] Kapella, O., Baierl, A., Rille-Pfeiffer, C., Geserick, C., Schmidt, E-M. (2011): Gewalt in der Familie und im nahen sozialen Umfeld Österreichische Prävalenzstudie zur Gewalt an Frauen und Männern Öster-reichisches Institut für Familienforschung: Wien.
[11] Enachescu, J. Hinsch, S. (2022): Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in Österreich. Prävalenz-studie beauftragt durch Eurostat und Bundeskanzleramt. Statistik Austria: Wien.
[12] Unterlerchner, B., Bonić, B., Aszódi, A. (2013): Frauen*spezifische Wohnungslosigkeit und Gewalt gegen Frauen*. Perspektiven und Entwicklungsvorschläge aus Theorie und Praxis. soziales_ Kapital (27). Wien. Online verfügbar unter http://www.soziales-kapital.at/index. php/sozialeskapital/article/view/790/1482
[13] Brunnhauser, S., 2021. Befristete Mietverträge – Entrechtung der Mieter:innen. Online verfügbar unter https://www.awblog.at/Kommunales/befristete-mietvertraege
[14] Hochwarter, C., 2024. Befristete Mietverträge. Forschungsbericht des IFES und der AK Wien. Wien: Ver-lag der Arbeiterkammer Wien.